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Effektive Hilfe Dank gezielter Koordination

Die Frau weint. Sie ist verzweifelt. Innerhalb weniger Sekunden hat sich ihr Leben radikal verändert. Nur ganz kurz hatte die Erde gebebt. Doch jetzt steht kein Stein mehr auf dem anderen. Ihr Mann und eines ihrer Kinder kamen ums Leben – ein anderes braucht dringend medizinische Hilfe. Doch die kommt nicht. Jetzt ist das Erdbeben schon mehrere Tage her – doch noch immer ist keiner der vielen Helfer in ihrem Dorf angekommen, von denen sie in ihrem batteriebetriebenen Radio gehört hat. Ihnen entgegen gehen kann sie nicht – dann müsste sie ihren Sohn allein lassen.

Ortswechsel: Es ist Stau. Überall hupt es. Keiner kommt voran. Wir sind im Tal. Luftlinie sind es nur ein paar Kilometer zum Dorf der Frau. Und doch kommen die Helfer nicht zu ihr. Woher sollen sie auch wissen, dass es ihr entlegenes Dorf gibt? Sie kommen aus dem Ausland, sind hierhergekommen, um zu helfen. Aber sie kennen sich nicht aus – wissen nicht, wo sie hinmüssen.

Hilfe soll dort ankommen, wo sie benötigt wird

Zugegeben – die Geschichte ist erfunden. Und doch könnte sie sich so oder ähnlich an jedem Katastrophenort dieser Erde abspielen. Um das zu verhindern, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO vor einigen Jahren die sogenannte Emergency-Medical-Teams-Initiative (EMT) auf den Weg gebracht, der sich auch humedica angeschlossen hat. Deren Ziel ist es, Katastrophenhelfer besser zu koordinieren, so dass am Ende jede Organisation an dem Ort ist, wo sie am besten helfen kann.

„Das funktioniert vor allem über einen sofortigen engen Austausch von allen Beteiligten: Was wird vor Ort benötigt und was genau können die internationalen Teams leisten?" erklärt Katharina Möller. Sie leitet bei humedica den Bereich Not- und Katastrophenhilfe. „Die eine Organisation besucht möglicherweise mit einem mobilen Ärzteteam die unterschiedlichen Orte, um direkt vor Ort Erste Hilfe zu leisten, andere, wie humedica, bauen eine mobile Krankenstation auf, die eine zusammengebrochene hausärztliche Versorgung in der betreffenden Region für eine gewisse Zeit ersetzen kann. Und wieder andere errichten ein vollumfängliches Feldkrankenhaus, in dem auch komplizierte Operationen durchgeführt werden können“, berichtet Möller weiter. Da nicht jede Leistung überall benötigt wird, koordiniert die WHO zusammen mit den örtlichen Behörden, welche Organisation einreisen darf und an welcher Stelle sie arbeiten soll. „Das verhindert, dass an einem Ort zu viel, und am anderen Ort zu wenig Hilfe vorhanden ist“, berichtet Möller. „Beim Erdbeben in der Türkei und Syrien im Frühjahr konnte humedica auf diese Weise gleich doppelt helfen. Einmal durch ein medizinisches Team, welches in einer Notunterkunft für Überlebende behandelt hat, auf der anderen Seite haben wir aber auch einen Experten zur Unterstützung direkt in das Koordinierungszentrum entsendet,“ so Möller.

Das bisschen sauberes Wasser, das noch da ist, sollen sich die Menschen nicht auch noch mit den Helfern teilen müssen

Um als Emergency Medical Team anerkannt zu werden, müssen Hilfsorganisationen einen Klassifizierungsprozess durchlaufen. Hier müssen sie genau darlegen, in welchem Bereich sie Experte sind und wie sie arbeiten. Außerdem ist es wichtig, dass die Helfer sich zwei Wochen lang komplett autark versorgen können. „Nach einer Katastrophe sind häufig Wasser- und Stromleitungen zerstört“, erklärt Katharina Möller und ergänzt: „Das Wasser ist deshalb oft verunreinigt, der Strom nur zeitweise verfügbar. Das bisschen, das noch da ist, sollen sich die Menschen nach einer Katastrophe nicht auch noch mit den Helfern teilen müssen.“ EMT-zertifizierte Teams bringen deshalb auch Gerätschaften wie Stromgeneratoren und Wasserfilter zum Aufbereiten verunreinigten Wassers und alles andere mit, was dem Team ermöglicht, sich zwei Wochen selbst zu versorgen.

Ziel des EMT-Prozesses ist es, die Qualität der medizinischen Hilfe sowie die Koordinierung stetig zu verbessern. Je abgestimmter nach einer Katastrophe alle zusammenarbeiten und jedes Rädchen ins andere greift, umso effektiver ist die Hilfe für die Menschen, die Hilfe brauchen. Deshalb sollen die Leistungen der verschiedenen Akteure möglichst vergleichbar sein. „Um als Medizinerin oder Mediziner nach einer Katastrophe helfen zu dürfen, brauchen wir die Genehmigung des jeweiligen Landes. Auch in Deutschland darf man schließlich nicht einfach so als Arzt oder Ärztin Menschen behandeln.“, erklärt Katharina Möller. „Künftig werden medizinische Organisationen, die nicht als EMT klassifiziert sind, voraussichtlich gar nicht erst ins Katastrophengebiet vorgelassen. Denn medizinische Hilfe in der Katastrophe soll den Betroffenen helfen und darf ihnen auf gar keinen Fall schaden.“ Und sie soll koordiniert ablaufen, damit sie ankommt. Idealerweise ohne Stau und garantiert dort, wo sie benötigt wird. Auch wenn das betroffene Dorf weit draußen und kaum bekannt ist.

EMT-Initiative soll medizinische Hilfe nach Katastrophen besser machen

Die EMT-Initiative der Weltgesundheitsorganisation ist u. a. eine Konsequenz aus der Erdbebenkatastrophe 2010 in Haiti, als viele internationale Nothilfeteams ohne Qualitätskontrolle und unkoordiniert im Einsatz waren. Ziel dieser Teams ist es, im Fall von Naturkatastrophen oder Krankheitsausbrüchen die lokalen Gesundheitssysteme schnell und zielgerichtet zu entlasten. Um die einzelnen Teams besser koordinieren zu können, sind sie in verschiedene Kategorien eingeteilt, die ihr Leistungsspektrum definieren. EMT müssen in der Lage sein, sich zwei Wochen lang komplett autark versorgen zu können. Das bedeutet, dass von Unterkunft und Trinkwasseraufbereitung über Verpflegung, Stromversorgung und Müllentsorgung alles zur Verfügung steht, um die knappen Ressourcen für die betroffene Bevölkerung nicht zusätzlich zu strapazieren.